TEXTE & PRESSE

Abdulhamid Abdalla von Barbara Peveling
(Ethnologin, Autorin and Journalistin), 2020:

Das Bild hängt schon lange an meiner Wand. Es hat mich von Deutschland bis nach Paris begleitet. Vor dem dunklen Hintergrund ist eine blaue Hand zu sehen, in deren Mitte leuchtet ein blaues Auge. Das Gesamte ist umgeben von arabischer Schrift. Worte, mit der Hand geschrieben, die über die Leinwand fliehen, als bliebe ihnen keine Zeit zum Verweilen. Immer wieder werde ich von Menschen gefragt, was das Bild mit seinen Zeichen darauf zu bedeuten haben. Die Handfläche, das Auge, die Schriftzeichen. Dann erzähle ich von Abdulhamid Abdalla, einem Künstler aus dem Nahen Osten, der in Syrien geboren wurde. Seine Bilder sind meist in Erdfarben gehalten, als wären sie mit dem Sand der syrischen Wüste gemalt. Jedes Bild ist wie ein Buch voller Zeichen und Formen. Die Figuren und Symbole sind ineinander verschlungen, ergeben eine eigenwillige Kombination, so wie der Gesang einer sehr alten Sprache. Als hätte sie eine Wüstentaube mit auf ihrem Flug nach Europa getragen.

Abdulhamid Abdalla lebt schon lange in Deutschland. Er ist noch vor dem arabischen Frühling hergekommen. Lange vor dem Krieg in Syrien hat er sein Land verlassen. Abdulhamid Abdalla kam 2003 nach Europa. Er kam, um hier zu malen. Es war die Leidenschaft für die Freiheit der Kunst, die Abdulhamid Abdalla in die Fremde getrieben hat. Und hier hat er eine neue Heimat gefunden. Vor allem aber hat er weitergemalt. Er ist nicht müde geworden, neue Stile zu entwickeln.

Seine Bilder aus dem Jahr 2020 zeugen von einer Konzentration und Perfektion im Stil, als auch der Thematik. Dabei hat sich der Künstler weder zeitlich noch räumlich vom Ursprungsort und der Tradition seiner Herkunft entfernt. Im Gegenteil, seine Bilder nehmen nicht nur die Tradition des orientalischen Stils auf, der sich durch geometrisch konstruierte Muster, Ornamente und Symbole auszeichnet, Abdulhamid Abdalla entwickelt diesen Stil auch weiter. In einer figurativen Darstellung werden so neue Elemente eines orientalischen Kunststils entwickelt. Die entstehenden Bilder stehen erstaunlicherweise auch in einem gradlinigen historischen Kontext zu den aktuellen Ereignissen unserer Zeit.

Die Geschichte unserer Epoche zeichnet Abdulhamid Abdalla praktisch den Figuren seiner Bilder auf den Leib. Die dargestellten Körper sind durchweg Frauenkörper. Es sind gemalte Porträts von Unbekannten, die in ihrer Einmaligkeit als pars pro toto für die Gegenwart einer ganzen Generation und Nation stehen. Die Frauenfiguren stehen vor einem sandfarbenen Hintergrund, oft mit diskreten Ornamenten durchzeichnet. Damit evoziert der Maler eine bewusste Stille und Entschleunigung der Atmosphäre. Während der Hintergrund sich lautlos ausbreitet, spielen sich auf den Frauenkörpern stumme Tragödien ab. Dabei sind die Münder und Augen meist geschlossen. Doch über die Gestik, die Bewegung des Körpers, richten sich die Figuren direkt an den Betrachter, als würden sie ihre Geschichten und ihre Erlebnisse laut aus den Bildern schreien. Die Komposition der Bilder konzentriert sich auf genau diesen Schrei, der von dem Körper im Zentrum ausgestrahlt wird. Er ist voller Ornamente, Figuren und Symbole. Ein Fisch, ein Vogel, das blaue Auge, als traditionelles Schutzornament aus dem Orient, dies gebrochen, in verschiedenen Farben.

Die Augen sind nur gezeichnet, wenn sie dem Betrachter eine direkte Mitteilung vermitteln. Ansonsten verschwinden diese, verfließen regelrecht mit den Zeichnungen und Ornamenten, die das kulturelle Gedächtnis darstellen. Frauen sind traditionell Trägerinnen des kulturellen Gedächtnisses einer Gemeinschaft in ihrem reproduktiven Sinne. Die Körper der Frauen, ihre Kleidung und ihre Haut, werden zur Projektionsfläche des Bildes. Von diesen lässt sich das Schicksal einer ganzen Nation ablesen. Syrien, so wie es Abdulhamid Abdalla kannte, existiert nicht mehr. Das Land und seine Vergangenheit liegen in Ruinen. Seine Bevölkerung ist auf der ganzen Welt verstreut. Die kulturelle Identität des syrischen Volkes und seine historische Bedeutung sind durch einen dramatischen Kriegsverlauf nahezu vollkommen dematerialisiert. Das kulturelle Gedächtnis existiert nahezu nur noch in dem menschlichen Gedächtnis. Genau davon erzählen die Bilder von Abdulhamid Abdalla. Sie sprechen von Flucht, von Vertreibung, von Verzweiflung. Aber vor allem erzählen sie von diesem großartigen kulturellen Erbe einer Vergangenheit, die bis zu den Phöniziern zurückreicht. Dem Körper der Frau, als Träger der biologischen und sozialen Reproduktion, wird ein Denkmal gesetzt.

Darüber hinaus gelingt es dem Künstler, den aktuellen Gender-Diskurs aufzunehmen und mit seinen Bildern zur Diskussion zu stellen. Das, was die Frauenkörper präsentieren, ist ihnen auf die Haut, die Kleidung gemalt, es ist eine soziale Zuschreibung, das Wesen selbst verbirgt sich hinter der Darstellung. Es lässt sich in einem Auge vermuten, das offen und klar aus dem Bild herausstrahlt. Abdulhamid Abdallas Bilder sind Malereien einer sehr alten Tradition und gleichzeitig ihre moderne Brechung.

Die Frau als Trägerin der Historie, gezeichnet durch Körper, die zur Spielfläche der Geschichte von Völkern und Nationen werden. Abdulhamid Abdalla ist einer der ersten Künstler, dem es gelingt, dass dem femininen Körper zugeschriebene Schicksal, Träger des kulturellen Gedächtnisses zu sein, mit wenigen präzisen Strichen auf die Leinwand zu bringen. Abdulhamid Abdallas Bilder sind Zeugen einer friedlichen Revolution, deren Waffen aus Pinselstrichen und Farbe besteht. Und deren Ziel es ist, Frieden zu bringen.


Weitere Texte (Auswahl):

Stefanie Groth (2015):
„Die Musik der Dinge sichtbar machen.“
Online unter: https://www.ndr.de/ndrkultur/sendungen/freitagsforum/Abdulhamid-Abdalla-Ein-syrischer-Maler-in-Hamburg,abdalla100.html
NDR (online newspaper)

“[…]. This position of Abdalla – overcoming the times and cultures but at the same time rooted in both – expresses itself in the works which we show now for the first time here in Homburg. With marked structures and dominated by a language of shape and color, which is inspired by nature and human existence, you can always see in his works his background and the impulses of his own biography: In this way his powerful and poetic paintings are an invitation to get – apart from a calculated reality – nearer to the art of intuition.”
Mathias Beck, Gallery M. Beck, at the opening of an exhibition in Homburg a. d. Saar, Germany, July 2007.

“The artist Abdulhamid Abdalla is able to touch hearts […]. His paintings lead the viewer into an unknown world […]. To look at his art is like coming to a place you have dreamed of for a long time.”
Barbara Peveling, Ethnologist, at the opening of an exhibition in Cologne, Germany, November 2006.

“Individual symbolism”
(Original title: „Individuelle Symbolik“)
Hamburger Abendblatt (online newspaper) 2004
(German)

Inge Dekker
„Suddenly there are Arabic words on the canvas“
(Original title: „Opeens kwanen er Arabische woorden op het doek“)
Trouw (newspaper) 17964, p. 2, 2003
(Dutch)

„Seven artists show their works in Holland“
Teshreen (newspaper) 17964, p. 2, 2003

„Works of Abdulhamid Abdalla“
The Cultural Supplement of Al-Thawra (newspaper) 302, p. 1, 2002
(Arabic)

Rima Al-Zaghair
„Topics and News in Art“
Al Anwar (newspaper) 14677, 2002
(Arabic)

Mohammed Hussein
„A Sculptor and four painters“
The Cultural Supplement of Al-Thawra (newspaper) 303, p. 1, 2002
(Arabic)

“Aussehende Harmonie zwischen den gerissenen Flächen”, 2002
Al-Thawra (newspaper)
(Arabic)